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Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 26.09.2003
Aktenzeichen: 1 U 168/02
Rechtsgebiete: InsO
Vorschriften:
InsO § 131 | |
InsO § 143 |
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil
Verkündet am: 26.09.2003
In dem Rechtsstreit
hat der 1. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Godbersen, den Richter am Oberlandesgericht Czauderna und die Richterin am Oberlandesgericht Hamann auf die mündliche Verhandlung vom 19. September 2003 für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 2. Oktober 2002 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Kiel unter Zurückweisung des Rechtsmittels teilweise geändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 45.482,33 € nebst 4 % Zinsen seit dem 28. April 1998 zu zahlen. Wegen des weitergehenden Zinsbegehrens wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
I.
Der Kläger verlangt als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Christian T. Bauunternehmen GmbH (im Folgenden Schuldnerin) Zahlung von 45.482,33 € (88.955,71 DM) zur Insolvenzmasse, und zwar aus dem Gesichtspunkt der insolvenzrechtlichen Anfechtung.
Am 15. November 1999 beliefen sich die Beitragsrückstände der Schuldnerin gegenüber der Beklagten auf 88.955,71 DM. Die Beklagte beantragte deshalb am 15. November 1999 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin bei dem Amtsgericht Norderstedt. Ende 1999 beantragten auch das Land Schleswig-Holstein/Finanz-amt, die Kaufmännische Krankenkasse Halle (KKH) und die Innungskrankenkasse Schleswig-Holstein (IKK) wegen offener Forderungen gegen die Schuldnerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Das Amtsgericht Norderstedt, das sämtliche Anträge unter dem Aktenzeichen 66 IN 218/99 bearbeitete, setzte den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter ein.
Am 14. Februar 2000 fand eine Gesellschafterversammlung der Schuldnerin statt, in der der Gesellschafter T. K. durch Rechtsanwalt Dr. S. , der über keine schriftliche Vollmacht verfügte, vertreten wurde. Die Gesellschafter bestellten den Investor Klaus-Wilhelm W. zum alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer, beschlossen eine Kapitalerhöhung um 500.000,- DM und boten W. die Übernahme eines Geschäftsanteils im Nominalwert von 300.000,- DM an (siehe Urkunde Nr. 151/2000 des Notars Dr. N. in Hamburg, Bl. 222 - 228 d.A.). T. K. genehmigte am 24. Februar 2000 vorsorglich die von Rechtsanwalt Dr. S. am 14. Februar 2000 für ihn abgegebenen Erklärungen (Bl. 242 f. d.A.). W. eröffnete per 1. März 2000 ein Konto der Schuldnerin bei der Deutschen Bank 24 mit der Nummer ... . Er nahm am 6. März 2000 das Angebot der Schuldnerin auf Übernahme eines Geschäftsanteils von 300.000,- DM an (siehe Urkunde Nr. 192/2000 des Notars Dr. N. in Hamburg, Bl. 232 - 234 d.A.). Er zahlte noch am 6. März 2000 unter Angabe des Verwendungszwecks "Einzahlung auf Geschäftsanteil W. " 208.000,- DM auf das Konto Nr. ... bei der Deutschen Bank 24 ein; er nahm von diesem Konto ebenfalls noch am 6. März 2000 eine telegrafische Überweisung von 88.955,71 DM an die Beklagte zwecks Tilgung der Beitragsrückstände vor. Die Beklagte erklärte nach Befriedigung ihrer Beitragsforderungen ihren Insolvenzantrag vom 15. November 1999 für erledigt. Auch die Forderungen des Landes Schleswig-Holstein/Finanzamt und der KKH wurden Anfang März 2000 erfüllt mit der Folge, dass auch diese Gläubiger ihre Insolvenzanträge für erledigt erklärten. Das Amtsgericht Norderstedt hob mit Beschluss vom 8. März 2000 die Bestellung des Klägers zum vorläufigen Insolvenzverwalter ungeachtet des Umstandes auf, dass der Insolvenzantrag der IKK noch anhängig war.
Da die Schuldnerin erneut in Beitragsrückstand geriet, hat die Beklagte am 8. Juni 2000 erneut die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin bei dem Amtsgericht Norderstedt - 66 IN 197/00 - beantragt. Das Amtsgericht Norderstedt hat das Verfahren 66 IN 197/00 durch Beschluss vom 20. Juni 2000 (Bl. 97 d.A.) mit dem, wie es nunmehr bemerkt hatte, noch nicht erledigten Verfahren 66 IN 218/99 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Das Amtsgericht Norderstedt hat am 4. Dezember 2000 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und den Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
Der Kläger hat geltend gemacht, dass die am 6. März 2000 veranlasste Überweisung von 88.955,71 DM vom Konto Nr. ... bei der Deutschen Bank 24 an die Beklagte gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar sei. Die Überweisung sei nach Stellen des Insolvenzantrages der IKK vom 17. Dezember 1999, auf den hin unter anderem das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei, erfolgt. Die Beklagte habe eine inkongruente Befriedigung erlangt. Befriedigungen, die ein Gläubiger durch Zwangsvollstreckung oder dadurch erlange, dass der Schuldner einer unmittelbar drohenden Zwangsvollstreckung durch Leistung zuvorkomme, seien nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs inkongruent. Der Fall, dass der Gläubiger unter dem Eindruck eines gestellten Insolvenzantrages leiste, sei entsprechend zu beurteilen.
Die Beklagte hat geltend gemacht, dass eine Anfechtung gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO daran scheitere, dass die Überweisung der 88.955,71 DM nicht im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt sei. Maßgeblich sei insoweit allein ihr Antrag vom 8. Juni 2000 und nicht der Antrag der IKK vom 17. Dezember 1999. Schließlich sei sie kongruent und nicht inkongruent befriedigt worden.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf das angefochtene Urteil, auf das auch zur Ergänzung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes verwiesen wird, Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens sein erstinstanzliches Klagziel weiterverfolgt. Die Einzelheiten seines Berufungsvorbringens sind aus der Berufungsbegründung vom 3. Dezember 2002 (Bl. 156 - 160 d.A.) zu ersehen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Wegen ihres Verteidigungsvorbringens wird auf die Berufungserwiderung vom 17. März 2003 (Bl. 172 - 177 d.A.) Bezug genommen. Wegen der nicht durch schriftliche Vollmacht nachgewiesenen Vertretungsmacht des Rechtsanwalts Dr. S. für den Gesellschafter T. K. in der Gesellschafterversammlung am 14. Februar 2000 weist sie auf § 47 Abs. 3 GmbHG hin.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers hat im Wesentlichen Erfolg. Der Kläger kann von der Beklagten aus der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage § 143 InsO Zahlung von 88.955,71 DM (45.482,33 €) zur Insolvenzmasse verlangen (1.). Er kann die ausgeurteilten Zinsen beanspruchen (2.).
1. Nach § 143 InsO ist das, was durch anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist, zur Insolvenzmasse zurückzugewähren. Durch die am 6. März 2000 veranlasste Überweisung von 88.955,71 DM vom Konto Nr. ... bei der Deutschen Bank 24 an die Beklagte ist das Vermögen der Schuldnerin um diesen Betrag vermindert worden (a.). Die Überweisung kann erfolgreich nach Insolvenzrecht angefochten werden (b.).
a. Das Guthaben auf dem Konto ... bei der Deutschen Bank 24 hat der Schuldnerin zugestanden. Das Konto ist unstreitig am 1. März 2000 von dem Investor Klaus-Wilhelm W. für die Schuldnerin eröffnet worden. W. ist zu diesem Zeitpunkt alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Schuldnerin gewesen. Er ist dazu unstreitig auf einer Gesellschafterversammlung am 14. Februar 2000 bestellt worden (siehe Urkunde Nr. 151/00 des Notars Dr. N. in Hamburg, Bl. 222 - 228 d.A.). Dass der Gesellschafter T. K. dabei von Rechtsanwalt Dr. S. vertreten worden ist, ohne dass dieser über eine schriftliche Vollmacht verfügt hat, ist unschädlich. Zwar bestimmt § 47 Abs. 3 GmbHG, dass Vollmachten zu ihrer Gültigkeit der Textform (frühere Fassung des GmbHG: Schriftform) bedürfen. Ein entsprechender Formmangel wird aber gemäß § 180 Satz 2 BGB geheilt, wenn die Gesellschafterversammlung das Handeln des Vertreters ohne (schriftliche) Vollmacht zulässt und der abwesende Gesellschafter die Erklärungen seines Vertreters später genehmigt (Roth/Altmeppen, GmbHG, 3. Aufl., § 47 Rdn. 27 m.w.N.). Der Gesellschafter T. K. hat die für ihn am 14. Februar 2000 abgegebenen Erklärungen des Rechtsanwalts Dr. S. unstreitig am 24. Februar 2000 genehmigt (siehe Bl. 242 f. d.A.).
b. Die durch die Überweisung eingetretene Erfüllung der Beitragsforderungen der Beklagten ist gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar. Nach dieser Vorschrift ist eine Rechtshandlung anfechtbar, durch die der Anfechtungsgegner im letzten Monat vor Beantragung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag eine inkongruente Befriedigung erlangt hat.
Antrag i.S.d. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist nur derjenige Antrag, auf den hin das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist (BGHZ 149, 178 f.). Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin ist aufgrund zweier Anträge eröffnet worden, nämlich sowohl aufgrund des Antrages der IKK vom 17. Dezember 1999 als auch aufgrund des Antrages der Beklagten vom 8. Juni 2000. Dies ergibt sich daraus, dass die IKK ihren Antrag zu keinem Zeitpunkt zurückgenommen oder für erledigt erklärt hat. Die Überweisung ist am 6. März 2000 und damit nach dem Insolvenzantrag der IKK vom 17. Dezember 1999 erfolgt.
Die Befriedigung, die die Beklagte durch die Überweisung erlangt hat, ist inkongruent.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein Gläubiger in der Krise keinen Anspruch mehr darauf, sich mit Hilfe hoheitlicher Zwangsmittel zu Lasten der Gläubigergesamtheit zu befriedigen; die Befriedigung, die der Gläubiger in dieser Zeit durch Zwangsvollstreckung erlangt hat, ist also inkongruent (BGHZ 136, 309). Aber auch die Befriedigung, die der Gläubiger dadurch erlangt, dass der Schuldner schon unter dem Druck einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung leistet, ohne dass es zur Vollstreckung gekommen ist, ist anfechtbar ; es kann sinnvoll nicht danach unterschieden werden, ob die staatlichen Zwangsmittel zum Einsatz gekommen sind oder ob der Schuldner zur Abwendung der ansonsten zwangsläufig stattfindenden Zwangsvollstreckung leistet ( BGH ZinsO 2002,581).
Die Frage, ob der unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung das Stellen eines Insolvenzantrages gleichzustellen ist, also ob die Befriedigung inkongruent ist, die ein Gläubiger erlangt, nachdem er die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners beantragt hat, hat der Bundesgerichtshof bislang nicht entschieden. Zur Überzeugung des Senats ist diese Frage zu bejahen.
Auch wenn ein Gläubiger mit seinem Insolvenzantrag nur die von der Insolvenzordnung gewollte Gleichbehandlung aller Gläubiger erreichen und einen Druck auf den Schuldner dahin ausüben will, ihn bevorzugt zu befriedigen, wird der Schuldner, der zur Befriedigung aller Gläubiger nicht mehr in der Lage ist, bestrebt sein, gerade die Forderung des Gläubigers, der den Insolvenzantrag gestellt hat, zu befriedigen, um zu erreichen, dass der Insolvenzantrag für erledigt erklärt wird. Zahlt der Schuldner, so hat der Gläubiger eine Befriedigung erlangt, weil er staatliche Mittel (Insolvenzantrag) eingesetzt hat, mag dies auch nicht sein Ziel gewesen sein. Nach der Ausgangsentscheidung des Bundesgerichtshofs kommt es nicht auf das Motiv des Gläubigers oder seine Redlichkeit an. Auch der Gläubiger, der guten Gewissens gegen Schuldner aus einem Titel die Einzelzwangsvollstreckung betreibt, soll das mit staatlicher Hilfe Erlangte aus Gründen der Gleichbehandlung aller Gläubiger zur Insolvenzmasse zurückgeben müssen, wenn sich herausstellt, dass sich der Schuldner schon zum Zeitpunkt der Zwangsvollstreckung in der Krise befunden hat, und wenn es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommt. Für den Fall, dass der Schuldner an den Gläubiger leistet, nachdem dieser einen Insolvenzantrag gestellt hat, erscheint es dann folgerichtig, dass der Gläubiger das nur im Hinblick auf den Einsatz staatlicher Mittel (Stellen eines Insolvenzantrages) Erlangte zur Insolvenzmasse zurückzugeben hat, wenn es gleichwohl (trotz Erledigung des eigenen Insolvenzantrages infolge Befriedigung) aufgrund eines anderen Antrages zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommt.
2. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 284, 288 BGB a. F.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Senat lässt die Revision wegen der Frage zu, ob eine inkongruente Befriedigung auch dann anzunehmen ist, wenn der Schuldner an einen Gläubiger leistet, nachdem dieser einen Insolvenzantrag gestellt hat. Auf diese Frage kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits an. Die Anfechtung greift nämlich aus anderen rechtlichen Gesichtspunkten nicht durch. Als weiterer Anfechtungsgrund kommt nur § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO in Betracht. Nach dieser Vorschrift ist eine Rechtshandlung, durch die ein Gläubiger eine Befriedigung erlangt, anfechtbar, wenn sie nach dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Gläubiger zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners kannte. Die Beklagte macht unbestritten geltend, dass sie Anfang März 2000 davon ausgegangen sei, dass die Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin wieder hergestellt sei. Der Kläger habe sie laufend über die Sanierungsbemühungen unterrichtet und sie dahin informiert, dass im Rahmen der Sanierung sämtliche Gläubiger befriedigt worden seien bzw. Gelder zur Befriedigung sämtlicher Gläubiger zur Verfügung stünden. Der Bericht des Klägers vom 7. März 2000 (Bl. 20 - 26 d.A.) entspreche ihrem Informationsstand abgesehen von dem Wort "nahezu"; nach ihrer Information hätten alle ungesicherten Gläubiger sich mit einem teilweisen Forderungsverzicht einverstanden erklärt.
Ende der Entscheidung
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